Pfarrei St. Medardus - Jockuschstr. 12 - 58511 Lüdenscheid
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Grabt Brunnen, bevor der Durst kommt ...
Wollt nicht auch ihr gehen? - Versuch einer Antwort


(GW) Seit fast zwanzig Jahren gibt es in unserer Pfarrei diese jährliche Veranstaltung. Immer wieder haben dort Gäste und Referenten versucht, wichtige Seiten des Christseins heute deutlich zu machen – meist auf Grund der eigenen Erfahrung. Heute kam der im Bistum sehr bekannte Priester Dietmar Schmidt, langjähriger Pfarrer in Bochum-Wattenscheid, und sprach über die Frage Jesu: „Wollt nicht auch ihr gehen?“ Viele verlassen ja die Kirche – was hält uns?

Über 50 Christen haben sich im Pfarrsaal von St. Joseph und Medardus versammelt. Die musikalische Begleitung ist ausgefallen. Also setzt sich Pfarrer Claus Optenhöfel ans Klavier und begleitet den Gesang der Anwesenden – Chapeau!

Nach einer Begrüßung durch Pfarrer Optenhöfel und Matthias Menke vom Katholischen Bildungswerk begann Dietmar Schmidt seine Ideen zur Zukunft der Kirche – ein Aufruf, die Kirche nicht zu verlassen, aber sie zu verändern.

Die Kirche steckt in einer Krise – und die Verantwortlichen haben noch nicht wahrgenommen bzw. nicht wahrnehmen wollen, wie groß sie ist und wie radikal. Es ist eine Vertrauenskrise: die Katholiken haben kein Vertrauen mehr in diese Kirche – nur 9% vertrauen ihr noch. Da ist sogar das Vertrauen in Versicherungswirtschaft und in die Islamverbände größer. Die gemeinsam von evangelischer und katholischer Kirche in Auftrag gegebene Studie weist das eindeutig nach. Und woher kommt das? Der Missbrauchskandal trägt erheblich dazu bei, aber der Vertrauensschwund ist entscheidend. Die Menschen habe die Erfahrung gemacht, dass gerade bei der Kirche die Moral immer großgeschrieben und diese von oben herab gepredigt wird. Daher ist der Sturz umso tiefer, wenn sich nicht an die eigenen Moralvorstellungen gehalten wird.

Dietmar Schmidt war in den in der Zeit, als die Frauen begannen, in der Kirche selbstbewusst aufzutreten, als Frauenseelsorger in Bochum tätig. Und aus seiner Erfahrung stellt er pointiert fest: wenn sich nicht bald in der Frauenfrage in der Kirche Wesentliches bewegt, dann wird diese Kirche keine Zukunft haben. Und er erkennt, dass die Argumente gegen die Teilhabe von Frauen in der Kirche die gleichen sind, die seinerzeit bei der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland im Jahr 1918 ins Feld geführt wurden. Und er hofft, dass nach der Zulassung der Frauen in Weiheämter in vielleicht 30 Jahren über die Gegenargumente genauso gelacht werden wird.

Dietmar Schmidt zeigt eine Karikatur aus der FAZ von letzter Woche: ein Pastor und ein Messdiener feiern gemeinsam mit einer alten Frau die Messe. Es trifft eine zweite Frau ein und der Pastor meint: „Ach, da kommt noch jemand. Ich fange noch einmal von vorn an.“ Wäre das nicht eine Idee, noch einmal von vorne anzufangen – vom ursprünglichen Verständnis von Kirche, vom priesterlichen Dienst, von kirchlicher Gemeinschaft, ohne den Überbau von 2000 Jahren. Er bietet jedem, der überlegt, sich von der Kirche zu verabschieden: komm, lass und von vorne anfangen.

Sein zweites Bild: der Untergang der Titanic. Der Riesendampfer sinkt, und auf der Brücke diskutieren der Kapitän, der Konstrukteur des Schiffes und der Investor, ob man jetzt die Besatzung beunruhigen soll. Und wenn man schaut, was sich heute auf der Brücke der Kirche abspielt, dann drängt sich der Vergleich auf. Was heute noch retten kann ist: alle in die Rettungsboote. Das kam bei der Titanic zu spät. Schmidt wünscht sich, dass die Strukturen der Kirche so verändert werden, dass wir eine Chance haben zu überleben. Ein Problem ist: der Pfarrer ist der Vorsitzende des Kirchenvorstandes. Und da es immer weniger Pfarrer gibt, werden die Größen der Pfarreien kontinuierlich vergrößert. Damit kann sich christlicher Glaube als berührbare Erfahrung nicht mehr bewähren. Seine Alternative: ab in die Boote. Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, bin ich mitten unter ihnen. Als Beispiel nannte er eine Frau, die in Coronazeiten Treppenhausgottesdienste gefeiert hat: alle Wohnungstüren auf und im Treppenhaus wurde Gottesdienst gefeiert – ansteckungsfrei. Solche Zellen sind mit viel Fantasie zu finden – dann hat die Kirche eine Chance.

Sein drittes Bild: das Gesicht einer schönen dunkelhäutigen Frau. Dazu ein Liebesgedicht aus dem Hohelied des Alten Testaments – nein, keine Beschreibung der Liebe der Christen zu Jesus, sondern echte Liebesgedichte. „Schwarz bin ich, doch schön“ – anders, aber selbstbewusst. So schwarz und so dunkel es in der Kirche sein mag, so schimmert immer ihre Schönheit durch. Und diese Schönheit sollen wir festhalten, oder uns an ihr festhalten.

Im Anschluss stellte Matthias Menke Fragen an Dietmar Schmidt und vertiefte die Aussagen seines Vortrages. Nein, er selbst hatte nie Zweifel an seiner Berufung – hat aber an manchen Stellen mit der Kirche gehadert. Und ist sich nicht sicher am Erfolg des Synodalen Wegs – so gut er den Weg auch findet – alle Aussagen und Briefe deuten darauf hin: am Ende entscheidet der Papst, mit unsicherem Ausgang. Aber er hat eine Hoffnung: der Heilige Geist habe schon oft eingegriffen – vielleicht auch dieses Mal.


Und im Nebensatz hat Dietmar Schmidt fallen lassen, dass er morgen seinen 80. Geburtstag feiert: herzlichen Glückwunsch und Gottes Segen.